Kinder haben das Wort! Mögliche Wege zu einer adultismuskritischen Haltung in den szenischen Künsten

Adultismus hat keine einheitliche Definition und wird intensiv diskutiert, auch in den szenischen Künsten und Kulturbetrieben. Als Arbeitsgrundlage lehnen wir uns an die Definition des US-Amerikanischen Soziologen John Bell (1995) an: „The word adultism refers to behaviors and attitudes based on the assumption that adults are better than young people, and entitled to act upon young people without their agreement“. Für eine weiterführende Beschäftigung mit Adultismus haben wir weiter hinten Literaturhinweise gesammelt.

Adultismus bezeichnet also die Diskriminierung von Kindern durch Erwachsene aufgrund ihres Alters. Der Begriff leitet sich vom englischen adult (Erwachsene*r) ab und beschreibt eine tief verwurzelte gesellschaftliche Machtstruktur. Diese zeigt sich unter anderem, wenn Erwachsene Kinder bevormunden, ihre Perspektiven ignorieren oder Entscheidungen ohne ihre Beteiligung treffen – oft in der Annahme, allein aufgrund ihres Alters klüger oder kompetenter zu sein. Kinder und Jugendliche können diese Annahme verinnerlichen und daraus resultierend ihre Legitimität für Selbstbestimmung oder Beteiligung an Entscheidungen grundlegend anzweifeln und sie in ihren Handlungen hindern – Barry Checkoway nennt dies auch eine daraus resultierende Kultur des Schweigens („culture of silence“).

Gesellschaftliche Strukturen und Institutionen sind dabei häufig so aufgebaut, dass Erwachsene Deutungs- und Entscheidungshoheit über das Leben von Kindern haben – in Kitas, Schulen, im Gesundheitswesen, in der Freizeitgestaltung, der Gestaltung öffentlicher Räume sowie in den Medien und im öffentlichen Diskurs. Kinder werden hier oft romantisiert („süß“), problematisiert („stur“) oder durch geschlechtliche und rassistische Stereotype vereinfacht dargestellt, statt als komplexe Persönlichkeiten anerkannt zu werden.

Adultismus steht dabei vermeintlich im Spannungsfeld mit der (rechtlichen) Fürsorgepflicht durch Erwachsene. Doch Fürsorge bedeutet eben nicht Bevormundung, sondern auch, Kinder altersgerecht in Entscheidungen, Prozesse und Regelfindungen einzubeziehen – inklusive der damit verbundenen Unsicherheiten und Dilemmata, denn auch Erwachsene wissen nicht alles. Partizipation stärkt Kinder in ihrer Autonomie und kann Machtgefälle abbauen. Konkret heißt das:

Kindern altersgerecht Informationen als Entscheidungsgrundlage vermitteln,

ihre Gefühle, Bedürfnisse und Meinungen ernst zu nehmen,

ihre Rechte nicht gegeneinander auszuspielen.

    Kinder haben wie Erwachsene ein Recht auf Selbstbestimmung – dieses darf nur aus guten Gründen im Sinne von Schutz und Erziehung eingeschränkt werden und sollte kindgerecht erklärt werden. Das bedeutet nicht, dass Erwachsene ihre Bedürfnisse komplett zurückschrauben müssen oder Kinder alles alleine machen sollen. Viel eher fokussiert partizipative Fürsorge den Ansatz, Kinder zu ihrer Autonomie zu befähigen und fördernd zu begleiten. Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 teilt Kinderrechte in Schutz, Förderung und Teilhabe ein. Diese Prinzipien sind gleichwertig: Teilhabe darf nicht dem Schutz geopfert werden – und umgekehrt. Partizipation muss also gelernt und gelebt werden – durch gemeinsame Erfahrungen von Kindern und Erwachsenen. Dafür ist es zentral, dass Kinder ihre Rechte kennen und Erwachsene als deren Vermittler*innen auftreten. Und dass Erwachsene bereit sind, ihre Haltungen und Handlungen gegenüber Kindern kritisch zu hinterfragen und zu verändern.

    Das Kindertheater kann ein Ort machtkritischer Ermächtigung sein. Hier entdecken und gestalten Kinder Handlungsspielräume und widersetzen sich durch ihre Repräsentation und ihr eigenes künstlerisches Schaffen einer potentiellen Kultur des Schweigens. Doch für das Repertoire entscheiden Erwachsene, was gezeigt wird, spielen Kinderrollen selbst und setzen Regeln.Eine adultismuskiritsche Reflexion kann den Fragen nachgehen, 1) ob Kinder überhaupt als aktiv Handelnde erscheinen dürfen, auf der Bühne und im Publikum, 2) welche Inhalte wie theatral aufbereitet werden und 3) welche Bilder von Kindern vermittelt werden. Theater als sozialer Raum sollte kindliches und jugendliches Verhalten berücksichtigen und als Teil des sozialen Raumes aktiv einbinden, statt erwachsene Perspektiven zu verordnen (z.B. permanent leise sein zu müssen) und damit mitunter das Gefühl zu vermitteln, vielleicht etwas falsch gemacht oder nicht verstanden zu haben. 

    Und: Wie jede Form von Diskriminierung erfordert auch die Auseinandersetzung mit Adultismus einen bewussten, andauernden Prozess – mit dem Empowerment von Kindern, struktureller Veränderung und der Bereitschaft, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen. Tipp: Das geht auch gemeinsam: Lernprozesse machen in Gemeinschaft oft mehr Spaß. 

    Fotos: Ruth Hundsdoerfer